Welches ist das hässlichste Säugetier der Welt? Genau, der Nacktmull. Entdeckt wurde er 1842 in Afrika von dem deutschen Wissenschaftler Eduard Rüppell, der annahm, das von ihm gefangene Exemplar sei ein altes, krankes Tier. Später stellte sich heraus, dass er sich geirrt hatte – die sehen immer so aus.
Der Nacktmull ist ein äußerst bemerkenswertes Tier, nicht nur, was sein Aussehen betrifft. So ein Nacktmull kann nämlich bis zu 30 Jahre alt werden. Dreißig! Das ist sehr alt für ein so kleines Nagetier. Nur zum Vergleich: Ratten, die etwa genauso groß sind, werden nur ca. 3 Jahre alt. Stachelschweine, die mit ca. 80 cm Körperlänge zu den größten Nagetieren gehören, können ein ähnliches Alter erreichen wie die Nacktmulle. Doch den Rekord hält immer noch ein Nacktmull, der im Alter von 31 Jahren starb. Das älteste Stachelschwein wurde nur 27.
Ein kleiner Exkurs: Warum werden große (Säuge-)Tiere im Allgemeinen älter als kleine Tiere? Das liegt am Verhältnis zwischen Körperoberfläche und Körpervolumen. Ein großes Tier hat im Vergleich zu seinem Volumen eine recht kleine Oberfläche. Je kleiner ein Tier ist, umso größer ist seine Körperoberfläche im Verhältnis zu seinem Körpervolumen. Und eine große Oberfläche ist ein Problem, weil sie viel Wärme abstrahlt. Die muss ersetzt werden, indem das Tier durch das verstoffwechseln von Nahrung Energie erzeugt. Wer Mäuse hält, oder Ratten oder Meerschweinchen, dem wird aufgefallen sein, dass diese Tiere eine hohe Herzfrequenz haben und sehr schnell atmen. Ein Mäuseherz schlägt ca. 670 mal in der Minute, ein Menschenherz nur 72 mal, Pferde bringen es auf 38 Herzschläge – und dem Blauwal reichen sechs Herzschläge pro Minute. So ein schneller Stoffwechsel sorgt aber auch dafür, dass die Zellen sich schnell abnutzen. So altert das Tier schneller und stirbt eher.
Nicht so jedoch der Nacktmull! Was ist sein Geheimnis? Nun, fangen wir mal beim Stoffwechsel an. Fast alle Säugetiere sind gleichwarm, das heißt, sie halten eine konstante Körpertemperatur aufrecht, egal, wie warm oder kalt es um sie herum ist. Der Mensch hat etwa eine konstante Temperatur von 37 °C. Der Nacktmull jedoch ist das einzige Säugetier, das dies nicht tut. Er ist so warm wie seine Umgebung, das nennt man „wechselwarm“. Reptilien und Amphibien, also z.B. Schlangen, Eidechsen und Frösche, sind ebenfalls wechselwarm. Bei niedrigen Temperaturen verlangsamt sich ihr Stoffwechsel. Und das ist auch schon eines der Geheimnisse des Nackmulls – wenn es kühl ist, schlägt sein Herz sehr langsam. Das spart Energie und verlängert das Leben.
Auch sein Verhalten passt der Nacktmull an die Temperatur an. Nacktmulle leben in unterirdischen Höhlensystemen, die die Tierchen mit ihren Zähnen graben. In so einem Bau leben durchschnittlich 75 Tiere zusammen. Wenn es kalt ist, begeben sie sich näher an die warme Oberfläche und kuscheln sich aneinander. So muss jeder seinen Stoffwechsel nicht allzusehr ankurbeln.
In diesen Höhlen ist allerdings der Sauerstoff zum atmen recht knapp. Die vielen Mulle, die da zusammenleben, atmen alle Sauerstoff ein und Kohlendioxid wieder aus, wie jedes atmende Tier. Das Kohlendioxid sammelt sich in den Höhlen und so atmen die Mulle auch viel Kohlendioxid ein. Das führt zur Übersäuerung des Blutes und das verursacht Schmerzen. Theoretisch. Doch ein Nacktmull kennt keinen Schmerz! Und zwar buchstäblich. Er hat schlichtweg keine Schmerzrezeptoren. Schmerz verursacht Stress und Stress verkürzt das Leben. Und durch die Übersäuerung des Blutes würde ein Mull ständig Schmerzen spüren. Tut er aber eben nicht, und so ist eine weitere Voraussetzung zu einem langen Leben erfüllt – kein Stress.
Ein weiterer möglicher Stressfaktor im Leben eines Tieres ist die Partnersuche. Konkurrenten verjagen, balzen, sich aufdringliche Partner vom Hals halten – alles Stress. Doch auch dafür hat der Nacktmull eine Lösung. Er ist das einzige Säugetier (schon wieder), das „eusozial“ lebt. Das heißt, dass nur ein Weibchen sich paart. Das ist die Königin, und nur ein bis drei Männchen aus der Gruppe paaren sich mit ihr. Die restlichen Mulle sind Arbeiter, die Futter suchen, Gänge graben – und sich nicht um Produktion und Aufzucht der Jungen sorgen müssen.
Nacktmulle bekommen auch keinen Krebs. Krebs wird bekanntermaßen durch die unkontrollierte Teilung bestimmter Zellen verursacht. Alle Säugetiere, auch Menschen, haben eingentlich einen Mechanismus, der diese unkontrollierte Zellteilung verhindert. Der Mechanismus gibt den Zellen einen Stopsignal, sobald alle Zellen eines Gewebes einander berühren – dann „weiß“ der Körper, dass genügend Zellen da sind. Dieser Mechanismus kann allerdings fehlerhaft sein oder durch spontane Mutationen ausgeschaltet werden. Der Nacktmull besitzt denselben fehleranfälligen Mechanismus. Aber er hat noch einen, der im Prinzip genauso funktioniert, aber anscheinend strenger ist und weniger leicht auszuschalten.
Ob all diese wunderbaren Eigenschaften des Nackmulls uns helfen können, Krebs zu besiegen und unglaublich alt zu werden, muss sich noch zeigen. Die Forschung läuft jedenfalls auf Hochtouren, das Genom des merkwürdigen Nagers wurde in den letzten Jahren vollständig entschlüsselt. Ich bin gespannt, was die Zukunft bringt. Jedenfalls sehe ich jetzt nicht mehr nur das abstoßende Äußere des Nacktmulls, sondern auch seine faszinierende Biologie.