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Die dunkle Seite der Mikrobiologie

Pseudomonas aeruginosa  Photo Credit: Janice Haney Carr Content Providers(s): CDC/ Janice Haney Carr - This media comes from the Centers for Disease Control and Prevention's Public Health Image Library (PHIL), with identification number #10043.Wir haben ein Problem und es wird schlimmer – multiresistente Bakterien. In den Nachrichten hört man immer wieder davon, sie werden „multiresistente Keime/ Erreger“, manchmal auch „multiresistente Krankenhauskeime“ genannt. Dabei handelt es sich um Bakterien, die nicht mehr durch Antibiotika bekämpft werden können. Solche Bakterien können sich zum Beispiel in offenen Wunden ansiedeln und deren Heilung verhindern. Auch unter Erregern von Tuberkulose, Durchfall und Lungenentzündung sind bereits multiresistente Erreger (MRE) aufgetaucht. Besonders häufig hört man dieser Tage von Pseudomonas aeruginosa, einem Krankenhauskeim, der 10 % aller Krankenhausinfektionen verursacht. Dieses Stäbchenbakterium ruft unter anderem Harnwegsinfektionen, Dickdarm- oder Hirnhautentzündungen hervor. Besonders Menschen mit schwachem Immunsystem, z.B. Kinder und ältere Leute oder Menschen mit Vorerkrankungen sind anfällig für die Infektion mit einem solchen MRE. Doch wie konnte es dazu kommen, dass Bakterien immun sind gegen fast jedes bekannte Antibiotikum? Und was können wir auf lange Sicht dagegen tun?

Antibiotika (die Einzahl lautet übrigens „Antibiotikum“) sind Stoffe, die Bakterien (und nur Bakterien – keine Viren!) abtöten können. Sie kommen vielfach in der Natur vor, da sie meistens von Bakterien oder Pilzen produziert und ausgeschieden werden. Die Bakterien und Pilze nutzen sie, um andere Mikroorganismen in ihrer Umgebung in Schach zu halten und möglichst viele Nahrungsquellen für sich zu behalten. Das allererste Antibiotikum, das von einem Wissenschaftler entdeckt wurde, war das Penicillin. Es wird von einem Schimmelpilz namens Penicillium hergestellt. Bereits 1893 konnte Bartolomeo Gosio Penicillin aus dem Pilz gewinnen. Seine Ergebnisse blieben jedoch unbekannt. 1897 veröffentlichte der französische Militärarzt Ernest Duchnese seine Doktorarbeit, in der er beschrieb, dass die Stallknechte im Militärhospital die Sättel der Pferde in einem dunkeln, feuchten Raum aufbewahrten, um die Bildung von Schimmel auf den Sätteln zu fördern. Auf die Frage, warum sie dies täten, antworteten die Stallknechte, dass die wunden Stellen auf den Rücken der Pferde dadurch besser heilten. Duchnese injizierte daraufhin einem Meerschweinchen, das er zuvor mit Typhus infiziert hatte, den Schimmelpilz. Das Meerschweinchen wurde vollkommen gesund.

Seit der Entdeckung des Penicillins wurde viele andere Antibiotika gefunden und jahrzehntelang erfolgreich zur Krankheitsbekämpfung eingesetzt. Doch damit begann auch das Problem. Die DNA von Bakterien verändert sich ständig durch zufällig auftretende Mutationen. Dabei kann es passieren, dass ein Gen entsteht, dass das Bakterium resistent macht gegen ein bestimmtes Antibiotikum. Wenn dieses Bakterium nun zum Beispiel an den Mandeln eines Patienten sitzt, der dieses Antibiotikum einnimmt, wird es nicht sterben. Stattdessen kann es sich rasant vermehren und so den Patienten zu einer Quelle eines resistenten Erregers machen. Von ihm aus kann es sich auf andere Menschen verbreiten.
Auch die Unzuverlässige Einnahme von Antibiotika kann resistente Keime erzeugen. Wenn man frühzeitig aufhört, das verschriebene Antibiotikum einzunehmen, weil man sich besser fühlt, wurden womöglich nicht alle Keime abgetötet. Die noch lebenden Keime können dann Resistenzen entwickeln.
Ein bedeutender – vielleicht der bedeutendste – Faktor heutzutage ist die massenhafte Verabreichung von Antibiotika an Tiere in Schlachthöfen. Damit will man verhindern, dass die Tiere krank werden. Würde ein Tier in Massenhaltung krank, könnte sich die Krankheit durch den engen Kontakt mit seinen Artgenossen rasend schnell in der ganzen Anlage verbreiten. Das will man verhindern und so gibt man extrem hohe Dosen Antibiotika. Wenn wir das Fleisch dieser Tiere essen, nehmen wir die Antibiotika auf und erschaffen dadurch in unserem Körper eine Brutstätte für Keime, die sich nun anpassen und Resistenzen entwickeln müssen.

Was kann die Wissenschaft tun, um diese verheerende Entwicklung aufzuhalten? Eine Abschaffung der Massentierhaltung wäre natürlich wünschenswert, würde aber lange dauern – zu lange. Also müssen schnell neue Antibiotika her. Da man diese aus Bakterien in der Natur gewinnt, könnte man einfach neue Bakterien suchen. Das hat man auch getan. Und festgestellt, dass sie nur Antibiotika herstellen, die schon auf dem Markt sind.
Man nimmt sogar an, dass man alle Bakterien, die sich im Labor kultivieren lassen, bereits kennt. Doch das sind nur etwa 1 % aller bekannten Bakterien! Die restlichen 99 %, die „dunkle Seite“, lassen sich nicht im Labor halten. Wenn man sie auf einem Nährboden versucht zu kultivieren, sterben sie. Was tun? Nun, wenn der Prophet nicht zum Berg kommt, muss der Berg eben zum Propheten kommen, nicht wahr! Die Mikrobiologen Slava Epstein und Kim Lewis haben eine Apparatur erfunden, mit der man Bakterien direkt in der Natur kultivieren kann. Kleine Kammern, die mit einer porösen Membran abgedeckt werden, werden in den Boden eingelassen. Die Poren in der Membran sind so klein, dass nur Bakterien hindurchpassen. Bakterien aus dem Boden können in die Kammern einwandern und dort wachsen. Nach etwa zwei Wochen „erntet“ man die Bakterien und untersucht, ob sie unbekannte Antibiotika produzieren.
Einige kleine Erfolge gab es bereits. Zwei neue Antibiotika namens lassomycin und Teixobactin wurden gefunden. Beide wirken gegen Tuberkulosebakterien und kein untersuchtes Bakterium zeigte Resistenz gegen Teixobactin.

Es besteht also Hoffnung. Dennoch geht die Suche sehr langsam voran und niemand kann vorhersagen, wie schnell neue resistente Keime auftauchen, denen auch die neuen Antbiotika nichts mehr ausmachen. Wer weiß, vielleicht brauchen wir eine ganz neue Herangehensweise in der Bekämpfung von bakteriellen Krankheiten. Ich bin neugierig, was den Wissenschaftlern einfällt und halte euch auf dem Laufenden!

Doktor Cooper, Doktor Hoffstadter, Doktor Koothrappali und Howard Wolowitz – kein Doktor.

http://scienceblogs.com/principles/files/2013/02/bigbang-lunch-cbsx-large.jpgIch liebe The Big Bang Theory. Aber der gezeigte Umgang von Wissenschaftlern untereinander basiert auf einer hoffnungslos veralteten Etikette. Wenn promovierte Wissenschaftler, also Leute mit Doktortitel, einander begrüßen oder vorstellen, sagt man den Doktortitel nicht mit dazu. Und wir duzen uns alle und sprechen uns mit dem Vornamen an. Erstens ist das einfacher so und zweitens ist die Sprache der Wissenschaft Englisch, und da gibt es kein „Sie“. Außerdem kann man bei uns nicht mit dem Doktortitel protzen, weil jeder einen hat. So ist das in den Naturwissenschaften. Merkwürdige Welt, wirklich.

Nur Ärzte machen das, glaube ich, anders. Warum? Ein Naturwissenschaftler arbeitet drei bis sieben Jahre an der Doktorarbeit. Ärzte drei bis sieben Wochen. Kein Quatsch. Nach drei bis sieben Jahren hat man dann auch die Schnauze voll und es ist einem sowieso egal, man will nur noch fertig werden mit dem Kram und sch*** auf den Titel. Aber wenn man nur drei bis sieben Wochen dran gesessen hat, muss man den Titel vielleicht dauernd sagen und überall hinschreiben, damit man nicht vergisst, dass man ihn hat. Die einen arbeiten sich fix und fertig um wichtige neue wissenschaftliche Erkenntnisse zu machen, eingehend zu prüfen und in einen Zusammenhang zu bringen mit allem, was man bisher auf dem jeweiligen Gebiet weiß. Die anderen werten mal schnell ‘ne Statistik aus. Und doch kriegen alle dieselben zwei Buchstaben. Dr. Irgendwie ungerecht.

Ok, jetzt mal im Ernst. Ärzte haben einen harten und extrem wichtigen Job. Aber der „Dr. med. Dünnbrettbohrer“, wie DIE ZEIT einst titelte, ist eine Fassade. Sie ist notwendig, weil die Allgemeinheit sich daran gewöhnt hat und sich ein unterschwelliges Gefühl manifestiert hat, ein Arzt ohne Doktortitel sei irgendwie kein richtiger Arzt. Noch verrückter: Krankenhäuser vergeben aufgrund dessen beinah niemals Stellen an nicht pomovierte Ärzte. Und so müssen die Medizinstudenten sich während der Examensvorbereitung noch ein Thema für die Doktorarbeit aus den Rippen leiern und die während des Lernens auch noch irgendwie schreiben. Das erfüllt ganz und gar nicht den Zweck der Promotion, denn der ist: „… die Fähigkeit zur selbständigen wissenschaftlichen Arbeit im Rahmen der Bearbeitung eines thematisch begrenzten Forschungsbereichs zu belegen; im Mittelpunkt steht die Anfertigung einer Doktorarbeit (Dissertation), welche neue wissenschaftliche Ergebnisse enthält.“ Selbstständiges wissenschaftliches Arbeiten bedeutet, eine interessante wissenschaftliche Fragestellung zu finden, eine Hypothese zur Beantwortung dieser Frage zu formulieren und diese Hypothese dann mithilfe von Experimenten eingehend zu prüfen. Problem eins: Wer frisch von der Uni kommt, hat keine Ahnung, was in der Wissenschaft gerade abgeht. Das Finden der Frage dauert meistens einige Monate (Es sei denn, der Prof. serviert sie einem). Problem zwei: Im Laufe des allerersten Experiments zur Prüfung der Hypothese stellt sich heraus, dass die Hypothese Quatsch ist. Neue Hypothese, andere Experimente. Problem drei: Die wochenlang sorgfältig geplanten Experimente liefern im besten Fall ein völlig unerwartetes Ergebnis, im zweitbesten Fall kein Ergebnis und im allermeisten Fall funktionieren sie einfach gar nicht. Daher die drei bis sieben Jahre. Wenn man die rum hat, kann man wirklich von sich behaupten, ein vielfach frustrationsgeprüfter Wissenschaftler mit ausgeprägter Fähigkeit zum selbstständigen Arbeiten zu sein. In drei bis sieben Wochen schafft man das einfach nicht.

Selbstverständlich gibt es Ausnahmen, auch Ärzte können mehrere Jahre lang promovieren. Doch der Alltag und die typische Karriereleiter eines praktizierenden Arztes lassen das eigentlich nicht zu. Ein Arzt, der mit Patienten arbeiten möchte, hat also kaum die Möglichkeit, sich ausgiebig der Wissenschaft zu widmen. Und wer es doch tut, muss das entweder parallel zu seiner Arbeit als praktizierender Arzt machen oder wird danach Schwierigkeiten haben, wieder in die Praxis einzusteigen.

Ärzte stehen also von zwei Seiten unter Druck – auf der einen Seite verlangt die Bevölkerung (Und die meisten Arbeitgeber!) den Doktortitel und auf der anderen Seite stehen die beleidigten Naturwissenschaftler (wie ich), die nicht mit den Turbo-Promovenden in dieselbe Schublade gesteckt werden wollen.

Habe ich einen Lösungsvorschlag? An meinem Institut werden Mediziner mit 100 % Gehalt „gelockt“, um ihnen die ausgiebige Promotion schmackhaft zu machen. Doktoranden bekommen normalerweise nur 50% Gehalt (bei 150 % Arbeitsstunden…). Aber das löst nicht das Problem der fehlenden Praxiserfahrung für die promovierenden Ärzte. Meine beste Idee ist, ein Umdenken in der Bevölkerung anzustoßen, um dem medizinischen Doktortitel seinen Legendenstatus zu nehmen und die Akzeptanz für nicht promovierte Ärzte so weit zu erhöhen, dass es irgendwann nichts mehr ausmacht, ob man den Titel hat oder nicht. Dann kann der Titel vielleicht seine ursprüngliche Bedeutung als Auszeichnung für intensive wissenschaftliche Arbeit wiedererlangen.

Ich bin Wissenschaftler, kein gewissenloser Tierquäler!

800px-Lab_mouse_mg_3263Ich unterschreibe manchmal Petitionen im Internet. Wenn man so eine Petition unterschrieben hat, bekommt man Vorschläge für andere Sachen, die man auch unterschreiben könnte. Und letztens kam da ein Aufruf von PETA, der Tierschutzorganisation. Sie sammelten Unterschriften um AirFrance dazu zu bewegen, keine Affen mehr in Versuchslabore zu fliegen, da diese dort “mit grausamen Experimenten zu Tode gequält” würden. So etwas ärgert mich. Affenquälerei ärgert mich natürlich, aber noch mehr, dass Tierversuche im Rahmen wissenschaftlicher Studien als “grausame Quälerei” bezeichnet werden, weil es irgendwie klingt, als würden wir Wissenschaftler ohne Sinn und Zweck Tiere quälen – nur um des Quälens Willen, weil es uns Spaß macht oder so. Das ist nicht so. Ich will heute ein wenig erklären, wie und warum Tierversuche gemacht werden und was der Sinn dahinter ist.

Man erinnert sich vielleicht noch an die Skandale um die Testung von Kosmetika an Tieren – Kaninchen, Mäusen oder anderen Sägetieren wurden einzelne Inhaltsstoffe oder fertige Kosmetika verabreicht, in die Augen oder auf zuvor rasierte oder verwundete Hautstellen aufgebracht etc. Solche Tests sind in der EU jedoch seit 2006 verboten. 2013 ging Deutschland sogar noch einen Schritt weiter und verbot auch den Verkauf von an Tieren getesteten Kosmetika. Das ist etwa dann relevant, wenn ein fertiges Produkt aus einem Land eingeführt wird, in dem Tierversuche noch erlaubt sind. Auf diesem Gebiet gibt es in Sachen Tierschutz also große Erfolge zu verzeichnen. Aber warum sind Tierversuche in der Wissenschaft noch immer erlaubt?

Unter dem Begriff “Tierversuch” versteht man das Durchführen wissenschaftlicher Experimente an oder mit lebenden Tieren. “Wissenschaftlich” bedeutet,  dass diese Experimente dem Erkenntnisgewinn dienen. Zum einen kann das im Rahmen der sogenannten Grundlagenforschung geschehen, also der Erforschung von Lebensvorgängen im gesunden Organismus. Es wird aber auch erforscht, wie bestimmte Krankheiten entstehen und was dabei im Körper geschieht, oder es werden Medikamente an Tieren getestet.
Doch warum brauchen wir dafür Tiere? Für mich läuft die Antwort auf diese Frage immer auf dieses hinaus: Wollen wir Krankheiten wie Krebs, Alzheimer und Parkinson besser verstehen, behandeln und irgendwann vielleicht sogar heilen können? Wollen wir Menschen helfen? Wenn die Antwort auf diese Frage “Ja” lautet. kommen wir um Tierversuche (noch) nicht herum.

Auch uns Wissenschaftlern macht es keinen Spaß, Tieren Leid zuzufügen. Und ich möchte nicht leugnen, dass Tiere bei solchen Versuchen leiden können. Beispielsweise werden Mäuse genetisch so verändert, dass sie eine bestimmte Krankheit entwickeln. An diesen Mäusen kann man die Krankheit dann erforschen – und oft ist dies die einzige Möglichkeit, Dinge überhaupt zu erforschen.
Allerdings bedeutet “Tierversuch” nicht immer, dass es sich um Wirbeltiere (z.B. Fische und Frösche) oder sogar Säugetiere (wie Mäuse oder Affen) handeln muss. Viele Erkenntnisse kann man auch mithilfe von Tieren gewinnen, die auf der Evolutionsleiter weiter unten stehen, wie z.B. Fliegen und Fadenwürmer. Solche Tiere sind sehr einfach zu halten und vermehren sich schnell, weshalb sie von Wissenschaftlern bevorzugt werden, solange sich mit ihnen auf den Menschen übertragbare Erkenntnisse gewinnen lassen. Und das ist erstaunlich oft der Fall. Ein Beispiel: Das menschliche Gen FMR1 kann, wenn es beschädigt ist, zu Autismus führen (dabei handelt es sich um eine Entwicklungsstörung des Gehirns, die schwere geistige Behinderung nach sich ziehen kann). Im Jahr 2000 entdeckten Wissenschaftler um Gideon Dreyfuss am Howard Hughes Medical Institute in Pennsylvania, USA, dass das Gen FMR1 einen engen Verwandten in der Fruchtfliege Drosophila melanogaster hat. Und erstaunlicherweise entwickelt auch die Fruchtfliege bei Mutation ihres FMR1-Gens Symptome von Autismus; etwa Lern- und Erinnerungsschwächen. Seitdem konnten viele Aspekte der Krankheit mithilfe der Fruchtfliege aufgeklärt werden.

Doch was, wenn man Fliegen und Würmer keine guten Ergebnisse liefern und man doch beginnen muss, an den dem Menschen ähnlicheren Mäusen oder Ratten zu forschen? Der Schritt dahin ist kein leichter und kein Wissenschaftler geht ihn, ohne gründlich darüber nachzudenken. In Deutschland herrschen strenge Regeln, die man bei der wissenschaftlichen Arbeit mit Wirbel- und Säugetieren beachten muss. Jedes Tier braucht genug Platz und Nahrung, seine Umgebung muss saubergehalten werden und es muss unter guten Bedingungen gehalten werden. So müssen Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Lautstärke in dem Raum, in dem die Tiere leben, ständig überprüft und protokolliert werden. Für Mäuse etwa muss die Temperatur immer zwischen 20 und 24 °C liegen und die Lautstärke darf 60 dB nicht übersteigen – das ist in etwa die Lautstärke einer normalen Unterhaltung. Jedes Institut und jede Universität, die Versuchstiere halten, müssen einen Tierschutzbeauftragten haben, der die Einhaltung der Regeln überwacht. Für jedes einzelne Tier und jedes Experiment muss ein Antrag bei der zuständigen Behörde gestellt werden. All dies ist aufwändig und teuer, darum vermeiden Wissenschaftler Tierversuche mit Säugetieren so weit es geht. Doch manchmal sind sie unumgänglich.

Zur Testung von neuen Medikamenten kommt man um Versuche mit Mäusen und Ratten beispielsweise kaum herum. Doch auch hier ist niemand voreilig. Nur die Medikamente, die sehr wahrscheinlich die gewünschte Wirkung und möglichst wenig Nebenwirkungen haben, werden überhaupt für Tierversuche zugelassen. Zunächst einmal werden Substanzen, die z.B. für die Bekämpfung einer Krankheit eingesetzt werden sollen, an sogenannten Zellkulturen getestet. Zellkulturen sind aus Menschen oder Tieren entnommene Zellen, die im Labor in einem Nährmedium außerhalb des Organismus leben und sich teilen können. Zu einer solchen Zellkultur wird das neue Medikament hinzugegeben und es wird geschaut, wie die Zellen darauf reagieren. Zeigt das Medikament dort die gewünschte biochemische Wirkung und stört es die Lebensfunktion der Zelle nicht, kann der Schritt zum Tierversuch gemacht werden. Denn in einem lebenden Organismus gibt es viele verschiedene Arten von Zellen. Man kann also aus den Experimenten in der Zellkultur nicht genau vorhersagen, wie sich das Medikament im Menschen verhält. Es besteht noch immer die Gefahr, dass es unvorhergesehene Nebenwirkungen hat. Diese Möglichkeit muss mithilfe von Tierversuchen erst ausgeschlossen werden, bevor man den letzten Schritt gehen und das Medikament in klinischen Studien an Menschen verabreichen kann. Überspringt man die Tierversuche, könnten Menschen ernsthaften Schaden erleiden.

Ein weiterer unangenehmer Fakt ist, dass Tiere nach Abschluss einer Testreihe oder eines Forschungsprojekts getötet werden müssen. Warum dürfen sie nicht in die Freiheit entlassen oder als Haustiere gehalten werden? Versuchstiere sind oft genetisch verändert oder aber mit Substanzen, z. B. Medikamenten in Kontakt gekommen, die nicht in die Umwelt gelangen dürfen (aus demselben Grund darf man alte Arzneimittel nicht in die Toilette schütten). Genetisch veränderte Tiere können sich mit ihren wildlebenden Artgenossen paaren und so veränderte Gene in Umlauf bringen, was die gesamte Population eines Tieres und in der Folge das ganze Ökosystem durcheinanderbringen kann. Das Freilassen von Versuchstieren, von Tierschützern vielleicht gut gemeint, kann also verheerende Umweltschäden verursachen – das kann nicht im Sinne eines Tierschützers sein. Da man nicht kontrollieren kann, was mit Haustieren geschieht und wo sie überall hinkommen, darf man Versuchstiere auch nicht mit nach Hause nehmen. Für die Tötung der Tiere gibt es genaue Vorschriften, die auf geringstmögliches Leid der Tiere abzielen. Sie müssen beispielsweise erst in einen künstlichen Tiefschlaf versetzt (anästhesiert) werden, bevor sie getötet werden. Der Tod muss augenblicklich, beispielsweise durch Genickbruch, eintreten. Das kann auch nicht jeder Wissenschaftler einfach machen, man muss einen Kurs absolvieren, bevor man überhaupt mit Säugetieren arbeiten darf. Der Umgang mit Tieren in der Wissenschaft ist oft deutlich humaner als der in Schlachtbetrieben.

Doch was hält uns Wissenschaftler davon ab, unsere Tierversuche heimlich durchzuführen, weil wir auf großartige Ergebnisse hoffen und uns den Papierkram sparen wollen? Erstens: Wir sind keine schlechten, skrupellosen Menschen. Zweitens: Weil wir unsere Ergebnisse veröffentlichen wollen. Veröffentlichungen in wissenschaftlichen Zeitschriften sind die „Währung“ der Wissenschaft – je mehr man hat, desto besser die Karriereaussichten. Und Ergebnisse, die auf illegalem Wege erzeugt wurden, kann man nicht veröffentlichen, da man immer nachvollziehbar angeben muss, wo man die Tiere her hat und ob das Experiment offiziell genehmigt war.

Wissenschaftler quälen Tiere also nicht absichtlich und schon gar nicht zum Spaß. Es macht mich traurig, dass viele ein solches Bild von uns haben. Wir sind Menschen wie alle anderen, mit Gefühlen und Moralvorstellungen. Und wir sind oft die, die eine schwierige Entscheidung treffen müssen: Ist es wichtiger, menschliches Leid zu lindern – oder tierisches Leid zu vermeiden?

10 Jahre danach: Der “Hobbit” – ein Einzelfund oder doch eine neue Menschenspezies?

Vor 10 Jahren wurde in der wissenschaftlichen Zeitschrift Nature ein bahnbrechender Artikel veröffentlicht – Archäologen fanden Teile des Skeletts eines Urmenschen in einer Höhle in Indonesien. Zunächst einmal nichts allzu besonderes. Doch dieser Urmensch, ein Erwachsener, war ungewöhnlich klein und hatte Merkmale, die von keinem anderen Urmenschen bekannt waren. Die Wissenschaftler um Mike Morwood und Raden Soejono konnten sich zunächst keinen Reim darauf machen.

Es gibt zwei Dinge, die historische wissenschaftliche Funde erstaunlich oft kennzeichnen: Sie sind dem Zufall geschuldet (z.B. die Entdeckung des Penicillin durch eine schimmlige Kaffeetasse) oder ihre Bedeutung wird zunächst nicht erkannt (wie die Himmelsscheibe von Nebra, die anfangs für einen Blechdeckel gehalten wurde). Auch der Fund des “Hobbit” war zufällig und wurde erst einmal nicht als die Sensation erkannt, die er war. Die Archäologen führten die Ausgrabungen in Indonesien eigentlich durch, um Hinweise darüber zu finden, mit welchen Mitteln der moderne Mensch vor tausenden von Jahren von Asien nach Australien reiste. Stattdessen fanden sie in sechs Metern Grabungstiefe ein menschliches Skelett.

Die geringe Körpergröße von etwa einem Meter ließ die Forscher vermuten, es handle sich um ein Kind. Doch der Knochenbau sprach für einen Erwachsenen. Außerdem hatte er ein Schädelvolumen von ca. 400 cm3, etwa ein Drittel der Größe des modernen Menschenhirns. Nichts schien ins Bild der bisher bekannten Urmschenspezies zu passen, die letzten menschlichen Vorfahren dieser Größe gehörten zur Gattung Australopithecus, einem sehr frühen menschlichen Vorfahren, der vor etwa 2 Millionen Jahren ausstarb. Die Skelettteile waren jedoch, laut Altersbestimung mit der Radiokarbonmethode, nur 18.000 Jahre alt. Ein Experte musste her.

Die Forscher schickten eine Zeichnung an Peter Brown, einen Urmenschenexperte aus Australien. Brown sagte sinngemäß: “Die verstanden dort nicht viel von menschlichen Skeletten. Die Zeichnung hätte genausogut eine griechischen Vase darstellen können. Aber ich bin trotzdem nach Jakarta geflogen, weil ich das Essen und die Kultur mag. Ich hatte allerdings nicht erwartet, irgendetwas interessantes zu finden.” Doch als Brown den Unterkiefer sah, der zu dem Skelett gehörte, änderte seine Meinung sich schlagartig. Mit seiner Hilfe konnte das zerbrechliche Skelett gereinigt, stabilisiert und schließlich eingehend untersucht werden. Die Forscher des Ausgrabungs- und Untersuchungsteams waren sich einig: Es handelte sich um eine bisher unbekannte Spezies von Urmensch.

Nun musste noch ein Name gefunden werden, ein wissenschaftlicher und ein einfacherer für die Veröffentlichung des Fundes in Zeitung und Fernsehen. Auf “Hobbit” konnte man sich als Alltagsnamen des kleinen Urmenschen schnell einigen. Von der Idee, den wissenschaftlichen Namen “Homo hobbituszu wählen, war Brown jedoch nicht begeistert. Schließlich wurde die neue Menschenart nach ihrem Fundort, der indonesischen Insel Flores benannt: Homo floresiensis.

Und alles wäre wunderbar, wenn die Geschichte unseres Hobbit-Vorfahren hier enden würde. Doch so einfach ist es nun einmal nicht im Leben, und schon gar nicht in der Wissenschaft. Maciej Henneberg, ein Urmenschenforscher aus Polen, der jedoch in Australien lebt und lehrt, zweifelte ernsthaft daran, dass es sich bei Homo floresiensis um eine neue Menschenart handelte. Er veranlasste, dass der Schädel in ein anderes Labor gebracht wurde. Dort wurden Abgüsse gemacht, wobei der Schädel stark beschädigt wurde. Henneberg war überzeugt, dieses Exemplar eines Urmenschen habe an einer Fehlentwicklung des Schädels gelitten, einer sogenannten Mikroenzephalie (zu dt. etwa “kleiner Kopf”). Laut Henneberg handelte es sich also um einen fehlgebildeten Schädel einer bereits bekannten Urmenschenart. Diese Theorie konnten die Forscher um Mike Morwood jedoch widerlegen, mithilfe von Vergleichen des Hobbitschädels mit modernen Beispielen von Mikroenzephalie – die Merkmale passten nicht. Damit gab sich Henneberg aber nicht geschlagen, er verglich Schädelmaße von Menschen, die am Down-Syndrom litten mit dem Hobbit und kam als nächstes zu dem Schluss, dass der kleine Menschenvorfahre das Down-Syndrom gehabt habe. “Es gab kein Merkmal an diesem Schädelfossil, das nicht passte.” Doch auch diese Theorie hielt weiteren Untersuchungen nicht stand, denn der Schädel war nicht das einzigie ungewöhnliche Merkmal des Hobbit.

Die Füße waren beispielsweise recht groß und so gebaut, dass man annimmt, bei Homo floresiensis handelte es sich um einen geschickten Kletterer. Das mag nicht überraschen, da die indonesische Insel Flores, die Heimat des Hobbit, recht bergig ist und die Höhle, in der er gefunden wurde, 500 m über dem Meeresspiegel liegt.

Die Kontroverse um den Hobbit ist noch nicht beendet, doch mehr und mehr Wissenschaftler, die das Fossil untersuchen, sind überzeugt, es handele sich um eine bisher unbekannte Spezies von Urmensch. Inzwischen wurden 13 weitere Skelette dieser Art auf Flores gefunden. Es sieht ganz so aus, als würde die Geschichte der menschlichen Evolution um ein Kapitel erweitert.